Es klang wie das Knacken eines Funkgerätes, aber es gab hier keines. Ich setzte mich mit dem zweiten Espresso zu meiner Zeitung. Das Croissant war verzehrt, der Vormittag jung, und an einem Sonntag war der Vormittag Ewigkeit. Ich vertiefte mich wieder ins Politik-Ressort meines Leibblatts, für das ich nur an solchen Tagen wirklich die Zeit fand. Zwischendurch hörte ich wieder das Funkgerät knacken, und die blechern klingende Stimme, die dazu passte.
Beim dritten Espresso klingelte es. Wer kam um neun Uhr früh? Leise ging ich zur Tür. Durch den Spion sah ich zwei Uniformierte und einen Zivilisten. Ich zog Hose und Hemd an und öffnete. Die drei waren schon wieder auf dem Weg nach unten, der Zivilist kehrte um.
»Im Hof drunten liegt eine Leiche«, sagte er. »Können Sie sich die ansehen?«
»Natürlich«, antwortete ich automatisch und stellte fest, dass ich der Einzige war, der geöffnet hatte. Ich ahnte, um wen es sich handelte.
Es hatte ihn also doch erwischt, ein ehemaliger Hausbewohner, der vor seinem Verschwinden reichlich Unheil angerichtet hatte. Kürzlich war er im Kampfanzug in einem Tor in der Nähe gestanden. So hatte man ihn auch im Stiegenhaus angetroffen, regungslos wartend. Manche erschraken im Keller, wenn er plötzlich aus dem Dunkeln aufgetaucht war. Jetzt war er tot.
Wir gingen schweigend die Treppe hinunter. Wie war er zu Tode gekommen? Hatte es im Garten einen Kampf gegeben?
»Sie hat hier im Haus ihr Büro, es war nicht verschlossen. Jemand muss sie identifizieren«, sagte einer der Polizisten.
Ich ließ mir meine Verblüffung nicht anmerken. Fast erleichterte es mich, dass der Totgeglaubte noch lebte, andererseits war ich völlig überrascht, dass ausgerechnet sie im Garten lag. Helga Rofner hatte vor einigen Jahren hier ihr Büro gemietet. Wir waren Nachbarn und hatten noch vor einigen Tagen im Flur miteinander geredet.
»Sie ist vom obersten Stock aus dem Gangfenster hinuntergesprungen «, setzte der Zivilbeamte fort, »in den Morgenstunden.«
Ich zögerte, bevor ich durch die Türe trat.
Im Gras lag eine fast nackte Frau, Sie trug Slip und BH, um die Schultern eine Art Umhang, der zur Seite geweht war. Eigentlich hatte sie eine gute Figur. Das war mir nie aufgefallen. Sie lag auf dem Bauch, die blonden Haare verbargen das Gesicht.
»Ist sie es?«, fragte ein Polizist.
»Ja«, hörte ich mich sagen und stellte fest, dass ich Helga Rofner in der Leiche gar nicht erkannte.
Das besagte aber nicht viel, denn wenn wir uns im Treppenhaus trafen, trug sie ihren gewohnten dunklen Hosenanzug.
»Ich muss sie von vorn sehen«, sagte ich.
Die Polizisten nickten. Ich ging um sie herum.
Sie konnte es tatsächlich sein. Der Kopf wirkte grotesk. Er war offenbar beim Aufprall in die Länge gezogen worden. Über einem Auge verlief ein Riss. Es war kein Blut an ihr, die Augen starrten ins Leere.
»Sie ist mit dem Kopf auf die Wäschestange aufgeschlagen«, sagte der Zivilbeamte.
Ich war erleichtert. Der Riss über dem Auge, der tief in den Knochen reichte, stammte also von der Wäschestange. Sie musste sofort tot gewesen sein.
»Sie ist es«, bestätigte ich und ging zurück.
Im Treppenhaus setzte ich mich auf die Stufen.
»Ich hatte keine Ahnung, dass sie so nahe dran ist«, sagte ich mehr zu mir selbst.
»Geht es?«, fragte eine Polizistin mitfühlend.
»Natürlich«, antwortete ich und ging wieder nach oben.