TIROLER GEGENWARTSLITERATUR
von Helmuth Schönauer
Für manche Zustände sind Beamtenwitze am erklärungsfreudigsten: Treffen sich zwei unkündbare Hamster, fragt der eine, in welchem Modell rennst du?
Reinhard Kocznar geht seine Hamster-Analyse witzig wie einen Beamtenwitz an, er wählt dabei den Standpunkt eines Außenstehenden, der wohlwollend auf das rennende Getier schaut, der aber auch weiß, dass er selbst in einem Meta-Rad seine Runden dreht.
In zwölf Episoden (wegen 11a sind es natürlich dreizehn!) zeigt der Autor jene Grenze auf, wo der Mensch aus seiner eigenen Entscheidungskraft aussteigt und sein Tun von Apparaten übernommen wird. Das Lieblingswort ist dabei Apparat, das durchaus als die große Fassung eines Apps angesehen werden kann. Und Apps haben schon längst die Weltherrschaft übernommen.
Am Beispiel des Luftverkehrs, wo Piloten quasi wie Crash-Dummys ins Cockpit gesetzt werden, während der Autopilot alles übernimmt, wird erklärt, dass es zumindest bei der Letztentscheidung kein friedliches Nebeneinander zwischen Mensch und Apparat gibt. Das Wesen des Apparates ist es, unbarmherzig und allumfassend zu sein. Auch das Börsenwesen ist längst in die Hand von Apparaten geraten, wo in Milli-Sekunden der Handel abgewickelt wird, während der Mensch noch damit beschäftigt ist, sich Zahlen vorzustellen.
Niemand soll sich dem Trugschluss hingeben, dass er nicht längst gesteuert ist. Wer sich ein „kostenpflichtiges Einkaufsgerät“ zulegt, ist mit seinem Flachgerät bereits ein fester Bestandteil des Apparates. Die Handys, Smartphones und anderen Dinger dienen nämlich nur als Einsaug-Stutzen für die kostenpflichtigen Dienste, die im Sekundentakt heruntergeladen werden. Der Tagesablauf besteht fortan im permanenten Downloaden, Gefällt-mir-Drücken, Einkaufen und Aufladen des Akkus. Als Belohnung für unser kräftiges Mitspielen werden unsere Daten vernetzt und gespeichert, bis auch die letzte Ritze von uns ausgekundschaftet ist.
Noch nie hat sich eine Gesellschaft freiwillig mit solcher Begeisterung ins Hamsterrad gesetzt und zu „appen und appeln“ begonnen.
Aber es gibt einen Ausweg: Stecker ziehen und ausschalten. Alles andere unterstützt bloß diese Apparatur, die uns versklavt. Denn Hamsterräder sind heute nicht mehr rund sondern flach mit runden Kanten.
Wie schwer dieser Ausstieg ist, wenn man einmal bei seiner Ehre gepackt worden ist, zeigt der Film die „Brücke am Kwai“. Nur um den Japanern zu beweisen, dass Engländer bessere Ingenieure sind, bauen diese dem Feind eine Brücke, die sie mit einer pfiffigen Melodie unterlegen. Auch unsereins gibt sein letztes Hemd, wenn er dafür ein glitzerndes App kriegt.
Reinhard Kocznars Hamster-Essay ist durchaus aufweckend, auch wenn vielleicht niemand sein Verhalten ändert. Aber das ist die Aufgabe eines Essays: auszuprobieren, ob die Welt nicht anders sein könnte, als wir sie uns in unserem geistigen Einschicht-Hof vorstellen. Reinhard Kocznar erzählt professionell und Thriller-perfekt. Mit jener Coolness, mit der üblicherweise Gebrauchsanweisungen Schritt für Schritt abgearbeitet werden, arbeitet er seinen spannenden Fall ab. Denn es geht um so wuchtige Themen wie Leben und Tod, Selbstrettung und Untergang, Individuum und Katastrophe. Für den Leser, der in einer scheinbar geordneten Welt sitzt, schleicht allmählich eine verrückte Frage durch die Zeilen heraus wie Kampfgas. Was ist, wenn unsere scheinbar so logisch wirkende Welt in Wirklichkeit völlig anders ist und wir mitten in einer Katastrophe sitzen? Was ist, wenn wir schon längst erledigt sind, und es bloß noch nicht mitgekriegt haben? – „Vor Tagesanbruch“ ist ein Thriller, der zwischendurch bis an den Rand des Vorstellbaren geht.
Helmuth Schönauer 08/10/13
Alles unter Kontrolle
von Ursula Neuhauser
Die Unterbindung der zwischenmenschlichen Kommunikation, durch die Dauerkontrolle der Apparate, hat zum Ziel, eine zivile Gesellschaft zu entsolidarisieren. Menschen die mit standardisierten Computerprogrammen arbeiten, erleben zweierlei, es bedeutet ein mehr an Arbeit, die Programme, sind nicht alltagskompatibel, weil es die Möglichkeiten des Zufalls, in der Verkettung von Ursache und Wirkung ausschließt. Das bedingt in letzter Konsequenz die Gleichschaltung von Menschen. Eine Bedrohung die nicht offensichtlich, die verschleiert, die schleichend.
Der Autor Reinhard Kocznar beschreibt in seinem Buch Hamster im Laufrad sehr eindringlich und mit anschaulichen Beispielen. Wie der Mensch in Unternehmen als Restrisiko, durch Begriffe, wie der daraus bedingten Sicherheit, einer ständigen Kontrolle überführt wird. Die in eine Entmündigung des menschlichen Verstandes endet, mit der Rückkopplung der Schuldhaftigkeit des Einzelnen. Der Autor fordert uns mit seinen Essay auf, darüber nach zudenken, was verloren gegangen und der aufkommenden Gefahr des noch zu Verlierenden.
Hinzuschauen mit den Mut, auf das, was droht abhanden zu kommen. Das scheinbar nicht Notwendige, die Freude am Spiel, das Freiräume für den Zufall schafft. Mit der Möglichkeit, einer persönlichen Weiterentwicklung im Unerwarteten, durch Erkenntnisse im Denken und Handeln. Um es mit dem vom Autor gewählten Zitat von Lao Tse aus zu drücken, Lerne das Unerwartete erwarten. Kann eine der Möglichkeit darstellen, uns von den Fesseln des Apparates zu befreien.
Reinhard Kocznars Hamster-Essay ist durchaus aufweckend, auch wenn vielleicht niemand sein Verhalten ändert. Aber das ist die Aufgabe eines Essays: auszuprobieren, ob die Welt nicht anders sein könnte, als wir sie uns in unserem geistigen Einschicht-Hof vorstellen. Reinhard Kocznar erzählt professionell und Thriller-perfekt. Mit jener Coolness, mit der üblicherweise Gebrauchsanweisungen Schritt für Schritt abgearbeitet werden, arbeitet er seinen spannenden Fall ab. Denn es geht um so wuchtige Themen wie Leben und Tod, Selbstrettung und Untergang, Individuum und Katastrophe. Für den Leser, der in einer scheinbar geordneten Welt sitzt, schleicht allmählich eine verrückte Frage durch die Zeilen heraus wie Kampfgas. Was ist, wenn unsere scheinbar so logisch wirkende Welt in Wirklichkeit völlig anders ist und wir mitten in einer Katastrophe sitzen? Was ist, wenn wir schon längst erledigt sind, und es bloß noch nicht mitgekriegt haben? – „Vor Tagesanbruch“ ist ein Thriller, der zwischendurch bis an den Rand des Vorstellbaren geht.
Ursula Neuhauser
ORF Tirol
von Klaus Horst
Und mehr als einmal kommt einem beim Lesen ein Nicken in den Sinn: „Jawoll, recht hat er, genauso ist es“. Wirklich ein toller Essay, dem auch vorbehaltlos zugestimmt werden kann.
Klaus Horst